Saturday 5 April 2014

Wie Heimat ein Begriff für mich wurde

Als ich heute meinen alten Block aufschlug, sprang mir ein alter Text entgegen, den ich verfasst haben musste als noch nichts klar war was meinen Verbleib für dieses Jahr angeht. Ich fühle mittlerweile anders, ich liebe die Türkei und ich möchte mein restliches Leben hier verbringen, aber für mich allein behalten will ich den Text dann doch lieber nicht.

05.08.2013

Gestern bin ich 18 geworden.Vor kurzer Zeit habe ich meiin Abitur abgelegt.
Die Welt steht mir nun offen, ich möchte studieren.
Wer die Universitäten verfolgt wird wissen, dass die NC durch die Dächer durch sind ( Erziehungswissenschaften 1,8) und man unmöglich studieren kann. Mein Wunschstudium Psychologie liegt bei 1,0. Also habe ich mich in ganz Deutschland und auch privat beworben.Wenn nicht endlich mehr Studienplätze und menschliche Zugangsvoraussetzungen geschaffen werden wird das die Privatisierung des Bildungssektors forcieren aber das steht auf einem anderen Blatt.
Heute möchte ich über etwas ganz anderes sprechen. Mein Blog ist nicht politisch, mir geht es um Gefühle, um die menschlichen Auf- und Abfahrten im Leben. Ich möchte über Heimat sprechen. Und ich möchte ein Geständnis ablegen.

Beykoz korusu

Da ich bis Oktober Zeit habe genieße ich momentan den Luxus mich zwei Monate im Urlaub in der Türkei zu befinden.Meine Familie befindet sich schon in Deutschland.Als  nun schon zwei Absagen und ein Ausschluss eintrudelten (mein NC liegt übrigens bei 1,7)  rief mein Vater mich an und berichtete mir von der Möglichkeit in Istanbul zu studieren -Vollstipendium, Privatuni mit hochgradiger akademischer Belegschaft, kleinen Kursen, internationaler Studentenschaft, auf Englisch und mit einem Double Major.
Ich war begeistert und bewarb mich sofort.Man war sehr freundlich, half mir wo nur möglich und gab mir das Vollstipendium.
Voller Elan stürtzte ich mich in den Papierkram und begann Istanbul zu erkunden, nach einer Bleibe zu suchen - zwei Wochen verstrichen.
beylerbeyi  iskelesi  
Ich begann zu zögern. Mein 18.Geburtstag verstrich ohne meine Familie, die wichtigste Nacht (Laylatul-Quadr) im islamischen Kalender ebenfalls und das Ramadanfest würde ebenfalls ohne Familie verstreichen.
Fatih camii
Ich begann alleine zu weinen. Meine Tränen waren überraschend, sie überrumpelten mein Umfeld und am allermeisten mich selbst. Weder konnte ich das fremde Nass auf meinem Gesicht stoppen, noch den Schmerz in der Brust. Untröstlich weinte ich eine ganze Stunde lang. Dann konnte lediglich das Gebet meinen Schmerz stillen, mich trösten.
Es scheint hier als würde ich ziemlich häufig weinen, aber das ist mitnichten der Fall. Es ist nur so, dass ich jedes Mal schreibe wenn ich weine.
Ich vermisste meine Mutter und ich hatte das seltsame Verlangen in dieses mich ablehnende Land Deutschland zurückzuwollen. Wenn ich alleine in Istanbul umherirrte fühlte ich Zuneigung, Zugehörigkeit aber eben auch Verwirrung. Gewisse Dinge stachen mir  ins Auge, ich störte mich regelrecht an ihnen..

Und dann stand ich vor der seltsamen, viel zu großen, viel zu erwachsenen Aufgabe mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und mir ein Land als meine Heimat auszusuchen. Sollte ich mein Herz in der Hälfte durchschneiden?
Ja, als junge aufbrausende Ayşe verkündete ich immer lauthals ich sei stolze Türkin ,wollte nichts mit Deutschland zu tun haben und wollte sowieso zurück in die Türkei.
Diese Göre ist heute etwas zahmer geworden.
Da sie nun an der Weggabelung steht ist sie sich nun doch nicht mehr ganz so sicher.Und dann fällt ihr plötzlich ein, dass sie über dem ganzen Ärger mit der Islamophobie und dem Rassismus ja doch irgendwie dieses komische Dings hat: Dieses... Deutschsein.
Irgendwie ist ihr das ganze von damals auch ein wenig peinlich und sie weiß, dass es so gut wie allen Migrantenkindern so geht wie ihr.Sie weiß, dass viele das nicht unbedingt realisieren bevor sie vor der Wahl stehen, es vielleicht verdrängen oder so. Wahrscheinlich lesen das auch grade auch ein paar von eben diesen Migrantenkindern, schütteln heftig die Köpfe und verfluchen Ayşe, weil sie ja so einen Unsinn verzapft. Sie kennt das am besten von sich selbst.
Und nun, da ich zugegeben habe, dass ich wohl auch irgendwie Deutsche bin, ja verdammt nochmal dann hattet ihr eben Recht, dann habt ihr mich eben erwischt, möchte ich zeigen wieso: Gewisse Prinzipien gehen ins Blut über.
Ich liebe in Deutschland die Pünktlichkeit, dass man zu einem Rendezvous eben nicht eine halbe Stunde später erscheint als vereinbart und die Handwerker die sich für 12 angekündigt haben auch um 12 auf der Matte stehen und nicht um 17 Uhr. Ich liebe die Genauigkeit mit der gearbeitet wird, dass die neue Dusche nicht knirscht und die Wand bis an den Rand abgeklebt und bemalt wird statt einfach die hässlichen Übermalungen in Kauf zu nehmen.
Ich schätze die Gesetzestreue, die Loyalität gegenüber Regeln und Autoritäten, dass man im Verkehr auf Ampeln achtet, auf Schilder und nicht 120 auf einer 60 km/h-Strecke fährt.Dass man sich anschnallt.
Ich mag die Ablehnung gegenüber reinen Oberflächlichkeiten, die Geringschätzung von Statussymbolen und die kritische Hinterfragung der eigenen Position. Ich liebe das gute Auge für Polemik,Halbwissen und Scharlatane.Ich liebe die Diskussionskultur und das prinzipiell erst einmal jeder das Recht hat seine Position darzulegen.
Ich schätze die Disziplin,die Arbeitsmoral, die Professionalität, den Fleiß.
Ich hasse den Rassismus, die Islamophobie, die Kälte, dass man allein in der Menge ist, das Fehlen von ordentlichen familiären Strukturen, die Missachtung von menschlichen Notsituationen.
Ich liebe in der Türkei die Freundlichkeit,das Fehlen von Fremdheit.
Ich liebe die Zivilcourage, die Hilfsbereitschaft, dass mich der Onkel am Abend an der Busstation in den richtigen  Bus dirigiert und sogar mich bis nach Hause begleitet, es als unverschämt betractet als ich mein Portemonnaie zücke und darauf besteht zu zahlen.
Ich liebe die lachenden Gesichter in der Sonne, die Zufriedenheit der Menschen mit einfachen Dingen. Dem Meer zum Beispiel und einer kühlen Brise.
Ich vergöttere das praxisorientierte Denken, dass eben das Ergebnis zählt und Regeln nur einem Zweck dienen. Dass man sie eben auch mal missachten kann , wenn sie unnütz sind. Dass uns die Bibliothekarin nicht verbietet zu dritt am Tisch zu sitzeb, weil es 'REGEL !' ist.
Ich sterbe für den Çay am Abend, die Geschichten der Alten, die man achtet ,pflegt und  nicht ins Altenheim abschiebt. Ich liebe das Gefühl eine Nation zu sein.
Ich hasse die Großmauligkeit, die extreme Vorgehensweise gegeneinander in der Politik, die Unpünktlichkeit, die Faulheit.

Mein Herz ist gespalten in vier Teile. Eines liebt, eines hasst die Türkei. Eines liebt, eines hasst Deutschland.

Gott sei Dank bin ich nicht nur Türkin und Deutsche, sondern in erster Linie Muslima.
Allah sei gepriesen.

Auf nach İstanbul ! Auf in ein neues Leben ! 

Üsküdar iskelesi